Der Tadaaaa-Moment

Na, Ihr Besten?!

Gerade eben machte ich ein Schlenderchen durch die Kälte und wärmte mich mit der neuen Folge Podcast von Glennon Doyle „We can do hard things“. Wenn ich freiwillig bei Temperaturen von unter 20 Grad das Haus verlasse, ist das in meiner Welt nämlich ein „hard thing“. 

Während ich noch mit meinen Gedanken vor mich hin trödelte, fiel plötzlich der Satz: „My therapist said: „So you’re not doing the Tadaaa!““

Wie bitte?

Meine Aufmerksamkeit ist natürlich immer voll da, wenn jemand von seiner Therapeutin berichtet, die nicht unsere durchgenudelte Psycho-Sprache rauf und runter blubbert. Ihr wisst schon: „Ich nehme wahr…“, „Das macht mich auch irgendwie betroffen…“ – diese ganzen Ausdrücke, die es inzwischen bis in deutsche Filmkomödien geschafft haben (was niemals ein gutes Zeichen ist), die aber weit weg von dem sind, wie Menschen wirklich in ihrem Alltag sprechen.

Was bitte meint die Kollegin mit einem Tadaaa-Moment?

Ganz einfach. 

Wir erkennen: Upsi, da ist in meinem Leben ein riesiges Problem, das ich angehen muss, weil es mich jeden Tag ausbremst. Wir sind bereit, uns Hilfe zu holen und/oder massive Veränderungen in unserem Leben vorzunehmen.

Wir sind aber erst bereit, den Menschen um uns herum davon zu berichten, wenn wir mit dem Prozess fertig – und als „geheilt“ entlassen sind. 

Wir erzählen erst von unserer Ehekrise, wenn wir uns getrennt haben und schon in die neue Wohnung gezogen sind. Wir erzählen erst von unseren psychischen Erkrankungen, wenn wir glauben, sie los zu sein: „Ich hatte ja früher auch mal eine Angststörung.“. Wir erzählen erst, dass wir eine Ernährungsumstellung hinter uns haben, wenn die Ergebnisse sichtbar sind.

Tadaaa! Hier gucke mal, was ich geschafft habe! 

Am liebsten präsentieren wir das Ergebnis, ohne durchblicken zu lassen, was uns der Prozess gekostet hat, wie oft wir abgestürzt sind und wie oft wir hinschmeißen wollten. Dann wenden wir uns an die Bewunderer und lächeln milde: „Ach, das ist doch nichts! Und glaub mir, wenn ich es schaffe, dann schaffst Du es auch.“

Grundsätzlich gehöre ich zu den Menschen, die Tadaaa-Momente lieben. Von Null auf Hundert. Guckst Du bitte mal, wie toll ich bin? 

*bescheiden lächel*

Danke. Bitte. Tschüss.

Nun.

Was da erstmal so toll klingt, ist in der Realität ein zweischneidiges Schwert. Denn der Tadaaa-Moment suggeriert, dass wir ultimativ geheilt sind und mit dem Problem abgeschlossen haben. Für immer. Er suggeriert, dass wir nur wertvoll sind, wenn wir „es geschafft haben“.

Dass wir nie wieder zunehmen. Dass wir nie wieder Ängste oder Depressionen bekommen, weil wir endgültig geheilt sind. Dass wir von nun an nur noch glückliche Beziehungen und tolle Jobs haben.

Eine Angststörung – und die Schwierigkeit, eine glückliche Beziehung zu führen – sind kein Blinddarm, den ich wegoperieren kann, und dann ist Ruhe. Die wenigsten psychischen Erkrankungen lassen sich einfach so ausmerzen und heilen. Auch, wenn es mir gut gefallen würde.

Üblicherweise ist das ein Prozess. Zu dem Prozess gehören Rückfälle. Rückfälle ist eigentlich ein blödes Wort, weil es üblicherweise als ein Scheitern erlebt wird. Eins der größten Probleme im Suchtbereich sind die übersteigerten Erwartungen, die Menschen an ihre Genesung haben: „Mir darf nie wieder ein Rückfall passieren.“ Wenn der Rückfall dann kommt, sind Menschen enttäuscht von sich und schämen sich so massiv, dass sie sich zurückziehen und sich selbst aufgeben. „Ich schaffe es doch ohnehin nicht!“

Jeder Genesungsprozess, jedes persönliche Wachstum hat Aufs und Abs. 

Wir gehen an die Sache aber heran, wie an Abiturprüfungen: Jetzt fleißig ganz viel lernen, alle Prüfungen machen und dann für immer mit dem Thema durch sein. Zumindest ich kenne niemanden, dem sein Schulabschluss im Nachhinein wegen nachweislicher Blödheit im späteren Leben aberkannt wurde. 

Tadaaa!

Das wirkliche Leben kennt kein „happily ever after“. Das wirkliche Leben bedeutet nicht, dass Erfolge – wie auch immer sie geartet sind – an Leistung gebunden sind.

Es ist allerdings eine beliebte Methode, sich das Leben schwer zu machen und in einem Zustand dauerhafter Feindschaft mit sich selbst zu leben, wenn wir die Erwartung an uns haben, irgendwann einen perfekten Moment auf Dauer halten zu können. 

Nie wieder Angst. Nie wieder Depression. Nie wieder Essstörung. Nie wieder Konflikte in Ehe und Familie. 

Scheitern, Fehler machen, von vorne Anfangen ist eine zutiefst menschliche Erfahrung. Menschlich sein ist bisweilen absurd anstrengend – und es bietet uns häufig nur sehr kleine Tadaaa-Momente.

Tadaaa, ich habe es heute geschafft, meine Wut und schlechte Laune nicht an Unbeteiligten auszulassen.

Tadaaa, ich habe es heute geschafft, mich an einem kleinen Moment aufrichtig zu freuen.

Tadaaa, ich war heute geduldig mit mir.

Tadaaa, ich habe es heute geschafft, mir nicht jede Selbstlüge durchgehen zu lassen.

Tadaaa, ich habe heute mal keine überzogenen Erwartungen an mich und mich trotzdem nicht in ein „Jetzt ist es auch egal“ zu werfen.

Tadaaa, ich habe mich heute meinem Leben gestellt, obwohl alles in mir „Verstecken und Weglaufen“ schrie. 

Ich wünsche Euch für heute einen klitzekleinen Tadaaa-Moment. 

Macht’s Euch fein.

2 Kommentare EinDer Tadaaaa-Moment

  • Tadaaaaaaa-ich bin seit 35 Jahren Psychiaterin, Psychotherapeutin und wieder mal zu dick. Von anderen (psychischen) Malessen schreibe ich jetzt aus Gründen der Schweigepflicht lieber nix……
    Ich liebe Deine Artikel. Sie treffen ganz genau in’s Schwarze-und das noch mit Humor!
    Herzlichen Dank! Ich freue mich schon auf den nächsten Beitrag!

    • Liebe Rita, danke für Deinen Kommentar, der heute mein Tadaaa!-Moment war 🙂
      In „Unserer“ Branche gibt es immer noch das Bild, des therapeutischen Über-Vaters, der milde lächelnd oder streng auf seine Patienten herabblickt und selbst in seiner therapeutischen Abstinenz unfehlbar wirkt. Wir behandeln unsere Patienten, sind aber selbst nie betroffen und stehen weise über den Dingen – pfff. Was für ein Blödsinn. Und was für ein unglaublicher Leistungsdruck.

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