Na, Ihr Besten?!
Kürzlich gab es in einer Familien-WhatsApp-Gruppe neue Bilder von einem Kleinkind, das meine Genetik teilt. Klein-Maus erstes Mal kieksend und mit flatterndem Babyhaar auf einem Trampolin mit Mama; Klein-Maus das erste Mal begeistert auf einem Pferd mit Oma (und damit vielleicht die vierte Generation mit einer großen Leidenschaft); Klein-Maus erstes Mal auf einem lustigen Lastenfahrrad „Mamaaal?“ fragend (für all diejenigen, die nicht fließend Baby sprechen, hier der Untertitel: „Nochmal?“).
Ein zuckersüßes, glückliches Kind, das jubelnd herausfindet, welche Bewegungsformen sich mit einem menschlichen Körper anstellen lassen und jede Sekunde genießt.
Es trägt komische Babysachen, die die Eltern für es auswählen und fragt nicht: „Kann ich so rausgehen?“ – Klein-Maus geht so raus. Einfach so.
Sie guckt nicht mal in den Spiegel.
Klein-Maus hat keine Ahnung, welches Haarstyling für coole Kleinst-Purzelchens gerade im Trend liegen, deswegen stört es sich auch nicht, dass fluffige Flatterhaare auf dem Kopf wachsen und lässt sie fröhlich im Wind wehen.
Die Familie freut sich, dass das Kind gesund ist und sich prächtig entwickelt, weil das nicht selbstverständlich ist. Wenn Klein-Maus also hopst und rennt und kiekst, dann sehen wir diese Videos und atmen durch. Die Befindigung ist super, die Familie hat jede Menge Spaß, die Eltern sind glücklich.
Klingt banal, oder?
Für mich ist das alles, was zählt.
Bekannte von uns haben ihrer kerngesunden Tochter vom ersten Tag eingeredet, dass sie ein Mopsgesicht und eine Hakennase habe. Gleich nach dem 18. Geburtstag hat die junge Frau ihr Erspartes genommen und die Nase operieren lassen. Heute sagt sie, wenn sie gewusst hätte, wie schmerzhaft die OP tatsächlich ist, hätte sie die Finger davon gelassen.
Kürzlich erst wieder gab es einen Artikel im Online Frauen-Magazin Edition f, in dem zur Abwechslung mal einem 50jährigen Mann Platz gegeben wurde, seine Ansicht breitzutreten, dass nur der 25jährige Frauenkörper begehrenswert sei, der 50jährige Frauenkörper für seine Zwecke uninteressant.
Also mal was völlig Neues: Objektivierung von Frauenkörpern nach Funktionalität und Aussehen. Der ständige Vergleich im Kopf: Entsprechen wir dem Schönheitsideal von anderen? Darf ich so aussehen? Kann ich so rausgehen? Sieht das gut aus?
Und dann wundern wir uns, dass der kleine Freiheitskobold in uns sagt: „Ihr könnt mich alle mal gern haben! Ich hab den Vergleich und den Leistungsdruck und die Abwertung satt. Ich boykottiere diesen Mist! Man reiche mir den Gin, öffne den Aperol-Spritz-Hahn, serviere mir die Pommes mit Käsesahnesoße und den Schokokuchen! FREIHEIT! FREIHEIT FÜR CARDASSIA!“. Nur um uns dann hinterher Vorwürfe zu machen, weil wir Entgleisungen praktiziert haben.
Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich statt der ewigen Kommentare übers Aussehen in den diversen Medien lieber lesen: „Wer amüsiert sich gerade am meisten?“, „Wer hat Erholung gerade dringend nötig?“ – „Wo ist dieser wunderschöne Strand?“ und nicht „Bodyshaming auf 56 Seiten!“
Bewältigungsstrategie des Tages:
Ab und zu mal „the Big Picture“ sehen und Prioritäten checken.
Oder mit lustigen Flatterhaaren vor die Tür gehen und Spaß haben.
Macht’s Euch fein.
P.S. Ja, ok, Du wusstest nicht, dass Cardassia befreit werden musste, weil Du „Star Trek: Deep Space Nine“ nicht gesehen hast. Jetzt weißt Du es.
P.P.S. Letzte Woche meldete Edition f dann Insolvenz an. Kann natürlich reiner Zufall sein. Oder Karma.
das könnte daran liegen, dass es ein reines Online-Magazin für Frauen war – und die es mit den Ehrenfrauen nicht so ernst nehmen wie ich 🙂
Zum PPS: Ich glaube fest an Karma! Muss allerdings auch zugegeben, daß ich von diesem Druckerzeugnis noch nie gehört hatte…