Na, Ihr Besten?!

Kürzlich las ich in meiner Community einen Post von einer Frau, die ich unglaublich schätze, weil sie sensibel, charmant und warmherzig ist. An dem Tag war sie bekümmert und erlitt etwas, das ich einen Rückfall in den Erinnerungsteich nennen möchte. 

Nicht jede von uns hatte eine Bullerbü-Kindheit. Manch eine von uns hatte eher etwas, das  man auch beim besten Willen nur als Tschernobyl-Kindheit bezeichnen kann: 

Das Gefühl neben einem Reaktor zu wohnen, der jederzeit in die Luft gehen kann, und wenn er es tut, eine enorme Zerstörungskraft hat. Das Gefühl, unter einen schwarzen Wolke aufzuwachsen.

Es gibt diese Tage, an denen die dunklen Wolken der Vergangenheit uns einholen, und wir uns fragen, ob diese dunklen Wolken unsere Zukunft definieren. Diese Erinnerungen, die unsere Ängste und Albträume prägen, die unseren Fokus schärfen bei jedem Menschen, der neu in unser Universum tritt … 

Ich wünschte manchmal, wir könnten das einfach weg atmen und uns den sonnigen Seiten des Universums zuwenden, den bunten und glitzernden. 

Stattdessen klammern wir uns fest an die Seile der Schaukel, auf der wir sitzen, und beschließen, dass diese Erfahrungen, diese Erlebnisse weder uns als Person noch unsere Zukunft definieren, sondern dass sie uns einfach nur bescheiden und sehr, sehr dankbar machen, für all die Dinge, die heute gut laufen in unserem Leben.

Ein möglicher, erster Schritt könnte sein, all die Sprüche, alle die Sätze, die in unserer Kindheit über uns gesagt wurden, mal kritisch unter die Lupe zu nehmen. Welche dieser Sätze sind wirklich hilfreich und dürfen weiter in unserem Kopf hin und her wandern und welche gehören in einen Archiv, aus dem sie nie wieder herausgelassen werden?

All die Sätze, die wir uns als Kinder anhören mussten, die im Grunde nur dem Herstellen der familiären Hackordnung dienten, dürfen großzügig aussortiert werden. Gerade wenn die Sätze von einer eifersüchtigen Person kamen, sind die negativen Kommentare eher als Botschaft zu verstehen, dass der andere Angst hatte zu kurz zu kommen, nicht genug gesehen und geliebt zu werden. Diese Sätze sagen dann im Grund über uns nichts aus.

Eifersucht und Neid entsteht durch das Gefühl von Verknappung. Es macht Menschen wütend, ängstlich und ungerecht – nie eine gute Kombination. 

Schwieriger wird es mit Erinnerungen an Blicke, an Umgangsformen, an Grausamkeiten und Gehässigkeiten. Hier hilft manchmal, sich bewusst zu machen, dass diese Zeiten vorbei sind und dass es an der Zeit ist, diese Erinnerungen aus der Video-Replay-Liste unseres Gehirns zu nehmen. Es kann helfen, sich bewusst zu machen, dass wir unsere Gedanken aktiv in eine Richtung marschieren lassen können, wo die Sonne scheint und weg von den Gebieten, die mit Schmutz beworfen werden.

Vielleicht ist das einer der wichtigsten mentalen Übungen: seine eigenen Gedanken lenken zu lernen. 

Es ist auch wichtig, dass wir uns daran erinnern, dass wir uns aussuchen können, mit wem wir Kontakt haben wollen. Der unglaubliche Vorteil am Erwachsen-Sein (neben all den unzähligen Nachteilen, die es mit sich bringt) ist, dass wir uns aus bestimmten Strukturen lösen können. 

Vielleicht hilft schon die Erkenntnis ein bisschen, dass andere ähnliche Erfahrungen teilen, dass wir uns mit anderen Überlebenden vernetzen und uns gegenseitig unterstützen können. Und uns gegenseitig aus dem Erinnerungsteich ziehen können, wenn es nötig ist. 

Macht’s Euch fein.

Letzte Änderung: 22. Juni 2021