Na, Ihr Besten aller Liebsten? 

Im letzten Post ging es um Kim und ihre Frage: „Wie komme ich aus dem Mist raus, der in meiner Kindheit verbockt wurde?“ Deswegen wende ich mich heute noch mal an sie – und gehe davon aus, dass da draußen deutlich mehr als eine Kim herumspringt, der meine Worte vielleicht helfen.

Also, Kim, Du hattest es natürlich schöner formuliert. Du erwähntest diverse Therapien, begonnen mit dem Vorsatz, erlittene Narben nicht an seine Kinder weitergeben zu wollen.

Gerade für diesen Wunsch verdienst Du eine kleine Ehrenparty, denn zu erkennen, was in der eigenen Kindheit suboptimal lief, zu erkennen, was falsch war und bewusst zu sagen: „Den Mist mache ich mit meinen Kindern nicht!“ ist eine unglaubliche Leistung. 

Zur Erinnerung: viele Menschen reden sich ein „Mir hat das ja auch nicht geschadet!“ und prügeln ihren Kindern die gleichen Neurosen in deren Zukunft, die sie selbst auch schon hatten. Ob das Alkoholprobleme oder Gewaltthemen sind, die über Generationen weitergegeben werden – die Varianten sind zahllos. 

Deswegen: als erstes sei stolz auf Dich.

Genauso wichtig ist es, Genesung von seelischem Leid zu suchen, einfach nur aus dem Grund, damit es uns selbst besser geht – auch ganz ohne Kinder. Puh, ich glaube heute an diesem wolkigen Morgen gehe ich noch einen Schritt weiter: 

Je besser es Dir geht, je mir Du mit Dir im Reinen bist, je besser Du für Dich sorgst, desto besser gelingt es Dir, kindliche Bedürfnisse zu sehen und auf sie einzugehen – die Deiner echten Kinder und Deine eigenen.  Dazu schreibe ich vielleicht später noch etwas.

Mir ist nur wichtig daran zu erinnern, dass es bei der Genesung auch und durchaus erstmal nur um uns gehen darf. Wir müssen nicht immer Kinder haben oder unsere Kinder als Argument nutzen, damit wir uns nicht mehr behandeln wie ein Stiefkind im Märchen.

Seelische Gesundheit mündet in echter Selbstfürsorge, und das ist ein gesunder Egoismus. 

Es gibt allerdings eine enorm wichtige Voraussetzung dafür, damit wir in diesen Lernprozess einsteigen können:

Wir müssen anfangen, bewusst zu entscheiden, welche Gedanken und Worte in unserem Gehirn spazieren gehen und es sich dort bequem machen dürfen. Wir müssen lernen, unseren inneren Monolog zu kontrollieren, sonst passiert wenig bis gar nichts. 

Dazu gehört auch, sich nicht jeden Mist zu glauben, den unser Gehirn uns erzählt.

Oft sind das ja Sprüche und Sätze oder Worte, die wir von klein auf von unserem Umfeld gelernt haben. Irgendwann werden die dann zu einem Bestandteil unseres täglichen inneren Monologs. Was ok wäre, wenn diese Sätze hilfreich und wohlwollend sind. Was völlig überflüssig ist, wenn sie beleidigend und erniedrigend sind. 

Wenn wir wirklich nachhaltige und tiefgreifende Änderungen in unserem Leben haben möchten, dann ist einer der ersten Schritte, mal Kassensturz mit all dem Geblubber zu machen, dass unser Kopf den ganzen Tag produziert. Und ausnahmslos alles, was destruktiv ist, auszusortieren. 

Sätze, mit denen wir uns selbst beleidigen, abwerten oder kränken, fliegen raus. (Andere Menschen sollten wir auch nicht beleidigen, aber dazu ein anderes Mal mehr) Wie macht man das? Umformulieren. 

Stell Dir vor, der Satz in deinem Gehirn, den Du zu Dir selbst sagst, würde zu einem Menschen gesagt, der schutzlos, ängstlich und verunsichert ist: Ist er hilfreich, tröstend und aufbauend? Dann darf er weiter im Kopf wohnen bleiben. Würde der Satz diesen Menschen noch mehr ängstigen, kränken oder einschüchtern? Dann raus damit.

Dazu gehören auch alle fatalistischen Untergangsszenarien: „Ich werde nie eine Partnerschaft haben.“, „Mich wird nie jemand lieben.“ oder „Wer will mich schon?“, „Ich kann doch nichts!“

Diese Sätze sind aus so vielen Gründen schrecklich, aber am wichtigsten ist: Wenn Du kein Hellseher, Zwerg Allwissend oder die delphinische Sybille bist, dann kannst Du unmöglich wissen, was in Zukunft noch passiert. 

Stattdessen sind Sätze hilfreicher wie: „Ich wünsche mir Liebe und Partnerschaft in meinem Leben.“, „Ich bin liebenswert.“ und „Ich wünsche mir, jemanden zu finden, der Freude an mir hat und an dem ich Freude habe.“

Am Anfang, wenn wir beginnen, diese neuen Sätze in unserem Kopf umzuformulieren, kommt oft eine weitere, noch fiesere Stimme angekrochen, die weitere Bosheiten vom Stapel lässt: 

„Ach ja, Du wünschst Dir Liebe, Du fette Platschkuh?! Wer will dich schon lieben?!“ 

Wenn wir dreißig, vierzig Jahre unser Denken mit Bosheiten gefüttert haben, dann braucht es eine Zeit der Umstellung. Und immer wieder warmherzige Geduld mit uns selbst. 

Manchmal hilft es, sich zu sagen: „Das habe ich bis gestern gedacht, heute denke ich anders.“ Manchmal hilft es, sich zu sagen: „Ok, der neue Satz fühlt sich noch fremd und komisch an, aber ich probiere es jetzt einfach mal für drei Tage.“ Manchmal hilft es sich vorzustellen, dass wir zu der alten Stimme sagen: „Ok, ich weiß, Du hast Dich die letzten Jahre wirklich bemüht, mir Deine Sichtweise klarzumachen, Du meinst es bestimmt gut. Das sehe ich. Und jetzt bitte ich Dich: Lass uns mal drei Tage das andere ausprobieren.“

Klingt es für Dich sonderlich, mit seinen Stimmen im Kopf ein Pläuschchen zu halten? Yep. Ist es am Anfang für uns glaubwürdig, wenn wir plötzlich nette Dinge sagen? Nein, wahrscheinlich nicht. Fühlt es sich fremd und sonderbar an? Ja, vermutlich.

Es kann helfen, die neuen Sätze immer wieder ruhig im Kopf zu wiederholen. 

Das erfordert Fleiß und Geduld. Es macht keinen Spaß. Es fühlt sich sehr sonderbar an.

Aber glaubt mir, es ist absolut kein gutes Zeichen, dass es sich „normal“ anfühlt, sich selbst in seinem Kopf klein zu machen und zu beschimpfen. Vielleicht fühlt es sich derzeit noch richtig für Dich an, unfreundlich mit Dir selbst zu sprechen. Aber das ist eigentlich wirklich traurig.

Und wenn sonst niemand freundlich und wohlwollend mit uns spricht: wir selbst in unserem Kopf sollten nett zu uns sein – und geduldig. 

Die Umstellung braucht Zeit, ganz klar. Aber sie lohnt sich. Immer und immer wieder. Und wenn die ersten Schritte noch so klein sind: Ab heute könnten wir versuchen, in unserem Kopf freundlich, respektvoll und aufmunternd mit uns zu sprechen. 

So lange sich der Monolog in unserem Kopf nicht ändert, hat kaum eine Therapie wirklich eine Chance, Veränderungen zu bewirken. 

Für heute so weit, aber Ihr ahnt: Da kommt noch was.

Macht’s Euch fein.

Letzte Änderung: 8. Juli 2021