Na, Ihr Besten!

Während ich super-urban mit Lounge-Musik über mir und meinem Notebook vor mir in einer Kaffeerösterei an der Spree sitze, denkt es in mir nach. Gestern las ich in der Community meines Vertrauens einen interessanten Kommentar:

„Haben wir unser Leben im Griff, wenn wir unseren Körper „im Griff“ haben? Und wann genau  ist das so, dass wir unser Leben „im Griff“ haben? Oder hat das Leben nicht eher uns im Griff?“

Hach, ja: die Sache mit der Kontrolle. Eigentlich auch ein bisschen lustig. Ok, ich kann inzwischen nicht mehr drüber lachen, aber… ach was, fangen wir doch beim Urschleim an.

Eigentlich wäre es doch so, so, so einfach: Schließlich: wer kontrolliert denn bitte, wie viele Schokoriegel mit Milchfüllung wir uns in den Mund schieben? Doch wohl wir selbst, oder? Wer kontrolliert, ob wir rauchen oder nicht? Wie viel Geld wir für sinnlosen Firlefanz ausgeben? Wie viel Alkohol wir trinken? Sind das nicht WIR, die die komplette und absolute Kontrolle über all das haben? Jo, ne?

Schön wär’s.

Nach alle den Jahren, die ich mich mit dem Thema befasse, nach den Hunderten von Posts, die ich gelesen und selbst geschrieben habe, bin ich heute von einer Sache überzeugt:

Es geht nicht um Kontrolle. Ganz im Gegenteil. Vielleicht geht es um Loslassen und wahrscheinlich geht es um Vertrauen, aber definitiv können wir mit Kontrolle unser Leben nicht „in den Griff“ bekommen – was immer das genau für Euch bedeutet.

Nehmen wir mal an, wer sein Leben im Griff hat, lebt gesund, betreut seinen/ihren Körper zuverlässig und liebevoll, lebt im Rahmen seiner Finanzen und schädigt sich nicht selbst. Klingt doch klasse, oder? Muss er/sie sich dazu unter Kontrolle haben?

In Glennon Doyles neuem Buch „Untamed“ gibt es einen schönen Absatz:

„Wir Frauen wurden nicht voller Misstrauen und Angst vor uns selbst geboren (…) Man hat uns beigebracht, zu glauben, dass unser natürlicher Zustand schlecht und gefährlich ist, und dass wir uns selbst fürchten sollten. Daher vertrauen wir weder unseren Körpern, noch unserer Neugier, nicht unserem Hunger, unserem Urteil, unserer Erfahrung oder unserem Ehrgeiz. Stattdessen verschließen wir uns vor unserem wahren Selbst. Frauen, die sich auf diese Art selbst verschwinden lassen können, bekommen das höchste Lob: „Sie ist ja sooo selbstlos!“ Kann man sich das vorstellen? Der Inbegriff des Frau-Seins ist also sich selbst komplett zu verleugnen. Das ist das Endziel einer jeden patriarchalischen Kultur. Denn der effektivste Weg, wie man Frauen unter Kontrolle halten kann, ist Frauen davon zu überzeugen, sie müssten sich selbst komplett unter Kontrolle haben.“

Da ist ein bisschen was dran, oder? Das fängt an mit der Partnerschaft (Wenn mein Partner mir erklärt, er habe jetzt so viel in die Beziehung investiert und für mich aufgegeben, eine Trennung wäre wirklich dämlich – glaube ich dann ihm oder meinem Gefühl „Ich will hier raus!!“?), es geht weiter damit, dass wir meist weit unter unseren Möglichkeiten bleiben und in Berufen landen, in denen wir uns gegen wenig Geld für andere aufopfern, und es endet schließlich damit, dass wir uns aus Frust und Erschöpfung selbst schädigen – und uns das dann auch noch richtig übelnehmen.

In meinem Buch „Geht’s auch leichter“ habe ich mich ja über die Kontrolletti-Sterne ausgelassen: die Zahl an Sternen steht für die Energie, die Kraft, die wir jeden Tag zur Verfügung haben, um die Dinge, die wir kontrollieren wollen, im Griff zu haben. Und wenn wir eben von den wenigen Sternen, die uns am Tag zu Verfügung stehen, schon die Hälfte brauchen, um unseren fremdgehenden Mann nicht die Kellertreppe hinunter zu schubsen oder die pubertierenden Kinder nicht im Wald auszusetzen, dann wird es mit dem Kalorienzählen, dem Shoppen oder den Zigaretten schwierig.

Inzwischen denke ich immer öfter: Es geht bei Essstörungen (und im Grunde jedem selbstschädigenden Verhalten) nicht um Kontrolle.

Es geht um Vertrauen.

Es geht darum, wieder zu lernen, dass wir den Signalen unseren Körpers vertrauen können. Dass wir lernen zwischen den Signalen des Körpers („Ich habe Durst!“) und den Signalen der Seele zu unterscheiden („Ich habe Angst, ich bin überfordert, ich fühle mich allein gelassen… Hach, guck mal: ein Aperol Spritz!“).

Es geht darum, wieder zu lernen, unsere eigentlichen Gefühle wahrzunehmen und ihnen zu vertrauen. Ja, genau: das sind die Gefühle, die wir üblicherweise mit Essen oder Alkohol oder shoppen betäuben oder die wir uns gepflegt selbst ausreden.

Es geht darum – so esoterisch-angehaucht das auch klingen mag – wieder in Kontakt mit uns selbst zu kommen. Wieder auf unsere innere Stimme zu hören. In der Tiefe meiner Seele bin ich davon überzeugt, dass wir im Grunde ganz genau wissen, was gut für uns ist.

Wenn wir aber seelischen Schmerz betäuben müssen, wenn wir Gefühle und Informationen verdrängen, wenn wir früh verlernt haben, unserer Intuition zu vertrauen und beseelt von dem Wunsch, alle anderen glücklich zu machen, durch die Gegend rennen, dann wissen wir gar nicht, wie das mit dem Selbst-Vertrauen geht.

Dann hören wir auf Frauenzeitschriften, auf destruktive Menschen in unserem Umfeld und auf den kleinen Mann im Ohr, also auf all jene, die ständig trompeten: „Vertrau Dir nicht. Du bist nicht gut genug!“

Ihr ahnt es schon; ich bin mit dem Thema noch nicht durch.

Für heute: Macht’s Euch fein!

Glennon Doyle im Original:

„We weren’t born distrusting and fearing ourselves. That was part of our taming. We were taught to believe that who we are in our natural state is bad and dangerous. They convinced us to be afraid of ourselves. So we do not honor our own bodies, curiosity, hunger, judgment, experience, or ambition. Instead, we lock away our true selves. Women who are best at this disappearing act earn the highest praise: She is so selfless. Can you imagine? The epitome of womanhood is to lose one’s self completely. That is the end goal of every patriarchal culture. Because a very effective way to control women is to convince women to control themselves“