Na, Ihr Besten aller Liebsten?

Lockdown-bedingt gucke ich gerade Reality-TV. Vermutlich, weil mir einfach Realität fehlt? Wer weiß. In einem dieser Formate nehmen jedenfalls Zwillingsbrüder teil.

Was mich an eine Frage erinnerte. Lust auf ein kleines Spiel?

Natürlich, habt Ihr das. Es ist Brückentag! Das Wetter ist grottenschlecht, Ihr hängt mit dem Handy auf dem Sofa und scrollt Euch durch das Internet – also: 

Stellt Euch vor, Ihr macht so einen Gen-Herkunftstest, mit dem man feststellen kann, dass man zwar auch keltische Wurzeln hat, aber tatsächlich mongolischer Abstammung ist, was einem niemand glaubt, obwohl man eine extreme Neigung zu Asien im Allgemeinen und asiatischen Speise im Besonderen hat, und man mit Pferden ein geradezu erstaunliches Händchen hat, nur weil man nicht mehr so aussieht, einige in der Familie aber super mongolisch aussehen. Wo war ich? Ach ja. 

Also, Ihr macht so einen Gentest.

Ja, ich weiß, die sind etwas fragwürdig.

Ja, ich weiß, jetzt nach Deiner Impfung – wer will das?

Ja, ICH kann doch nichts für die Wahl Deines Impfstoffes!

Ja, schön für dich, dass Du jetzt keine Nachtischlampe mehr brauchst, weil Du im Dunkeln mehr Sehkraft…

Wo war ich?

Puh, also nochmal: Gentest. Und es kommt heraus: Du hast eine eineiige Zwillingsschwester (bzw. -bruder) am anderen Ende der Republik, die Kontakt zu Dir aufnimmt und Dich treffen möchte. Jemand, der/die Dir genetisch gleicht. Im Grunde ein zweites Du, nur etwas anders.

Wie wäre das? Stellt Euch das kurz vor. Wie würdest Du reagieren?

Stellt euch vor, Ihr trefft Euch das erste Mal, begrüßt Euch, seht Euch in die Augen. Wie würdest Du sie begrüßen? Was würdest Du fühlen?

Nimm Dir einen Moment.

Und jetzt stell Dir Deinen üblichen inneren Monolog vor. Die Art und Weise, wie Du in Deinem Kopf mit Dir selbst sprichst, wenn Du mir Dir alleine bist. Die Dinge, die Du anderen über Dich sagst. Die „lustigen“ Anekdoten, die Du vielleicht anderen über Dich erzählst, mit denen Du dich selbst eigentlich schlecht machst. Die Art und Weise, wie Du Dich und Deinen Körper behandelst.

Meine Vermutung ist, wir würden unseren Zwilling nicht mit den Worten begrüßen, mit denen wir mit uns selbst sprechen: „Boh, du dickes Ding, gut altern tust du ja nicht, was?“

Oder mit dem Hass, den einige von uns auf bestimmte Körperteile oder sich selbst haben. Wir würden auch nicht zur Klinge greifen und unserem Zwilling die Arme aufschlitzen oder ihn/sie mit Drogen abfüllen. Oder ihm raten 12 Stunden am Tag ohne Pause zu arbeiten.

Wenn unser Zwilling von einer unglücklichen Liebesbeziehung berichtet, dann würden wir vermutlich nicht sagen: „Ej, was machst Du Vollpfosten eigentlich falsch, dass kein Mann bei Dir bleibt! Naja, eigentlich kein Wunder, so wie Du aussiehst.“

Die meisten von uns sind keine Zwillinge, sondern Einzelstücke. Wir sind der eine, übriggebliebene Halbzwilling. Wieso nicht diesen vorhandenen Halbzwilling mit der gleichen Warmherzigkeit, Fürsorge und Gastfreundlichkeit behandeln, wie wir es auch mit dem hypothetischen anderen tun würden?

Und wenn es nur für die drei Tage ist, die vor uns liegen. Einfach mal gucken, was passiert, wenn wir uns nicht wie ein Stiefkind im Märchen behandeln.

Macht’s Euch fein.

Letzte Änderung: 14. Mai 2021