Na, Ihr Besten?
In den letzten Tagen ging es hier um diesen Fridolin und seine Auswirkungen auf uns, auf die Art und Weise wie wir mit unserem Umfeld umgehen und mit unserem Körper. Ein Fridolin ist – oder war – jemand, der kontinuierlich unsere Grenzen überschreitet und uns schädigt – und gegen den wir uns nicht wehren.
Die Wut, der Hass, der Ärger wird herunter geschluckt oder in sich hineingefressen. Oft scheint der- oder diejenige mit der geschluckten Wut sogar besonders harmonieliebend. So sanftmütig, freundlich und unkompliziert. Ein kuscheliger, kleiner Golden Retriever Welpe. Immer fröhlich, immer guter Dinge.
Dieses scheinbar unkomplizierte, fröhliche Naturell hat einen Preis: Unterdrückte, verdrängte Wut findet ihren Weg.
In den ersten Texten über Fridolin schrieb ich schon vom Stellvertreterkrieg:
Anstatt selbst den Menschen zu konfrontieren, der tatsächlich die eigenen Grenzen überschreitet, anstatt ab und zu mal „Nein!“ zu sagen, wenn es erforderlich wäre, nehmen wir uns Unbeteiligte vor, die auch irgendwas ein bisschen falsch machen, aber im Grunde das Maß unserer Reaktion nicht verdient haben.
Wenn Ihr jemanden vor Euch habt, der überall ein Haar in der Suppe findet, jeden und alles kritisiert, der voller Groll und Hass auf Fremde ist („die“ Männer, „die“ Radfahrer, „die“ Laut-Atmer – oder in Coronazeiten: Jeden, der nicht die eigene Meinung zur Pandemie teilt…), dann lohnt es sich zu gucken, wem der Hass wirklich gilt.
Achtung: Natürlich darf man sich über Fremde ärgern, nur zu! Es ist nur eine Frage des Maßes.
Dieses Rummeckern an anderen, das ständige Kritisieren, die Boshaftigkeit gegenüber Wildfremden ist eben oft ein Mittel, den Fokus von den eigenen Gedanken abzulenken, die wir nicht denken möchten, weil sie uns Angst machen.
Gleichzeitig verbrennen wir kostbare Energie dafür, die Menschen in Watte zu packen, die uns tatsächlich schädigen oder uns nicht beschützen. Deren Verhalten wird gerechtfertigt und entschuldigt, wo es nur geht.
In diesem ganzen Prozess vergessen wir die eigentliche Frage:
Wo IST eigentlich diese Grenze, die bei mir überschritten wird?
Was darf man mit mir nicht machen, egal, welche Entschuldigung der andere bringt?
Ein Beispiel? Bitte gern: Wenn ich mich im Grunde meines Herzens nach Monogamie sehne, wenn Monogamie für mich die Voraussetzung für Vertrauen und Intimität ist, dann kann – und sollte ich – das Fremdgehen eines Partners nicht akzeptieren.
Der Satz, den ich von betrogenen Partnerinnen oft lese oder höre, ist aber: „Er/Sie kann ja nicht anders, weil… (betrunken, schlimme Kindheit, Potenzprobleme)“ oder (ein Träumchen) „Ich bin ja auch selbst schuld, weil ich schwanger war/ Übergewicht hatte/ mir die Haare kurz geschnitten habe.“
Wenn dem so ist, dann wird es Zeit für einen meditativen Spaziergang. Für den Moment des Nachdenkens über: „Was darf niemand mit mir machen, egal, was seine Entschuldigung ist?“
Kleiner Vorschlag:
Demütigen und körperliche Gewalt dürfen gern mit auf diese Liste.
Wenn wir uns selbst klar sind, was niemand mit uns tun darf, dann gleicht das einem Erwachen. Oft ist für uns selbstverständlich, dass wir diese Dinge dem anderen nicht antun würden. Warum sollten wir sie dann erdulden?
Niemand darf mich schlagen.
Niemand darf mich demütigen.
Niemand darf mir das Recht zu leben absprechen.
Niemand darf mich ohne mein ausdrückliches Einverständnis sexuell als sein Spielzeug benutzen.
Euch fallen bestimmt bessere Beispiele ein.
Für heute belassen wir es bei diesen Gedanken.
Macht’s Euch fein.
Liebe Ruth, das mit der Kritik ist toll formuliert. Und Du hast Recht: oft sind es gar nicht die großen Schrecken, sondern die vielen, kleinen Stiche und Sticheleien, die Narben hinterlassen.
Ach Claire, du hast ja soooo recht. Nein das darf wirklich niemand mit mir machen. Aber mir liegt die Messlatte ein bisschen zu hoch: Es gibt schon viel weniger dramatische Dinge, die, wenn sie regelmäßig geschehen, enorme Schäden anrichten und die niemand mit mir machen darf. Da finde ich es viel schwerer, mich abzugrenzen.
Wie wäre es zum Beispiel mit: Niemand darf mich auf eine Art kritisieren, bei der ich mich klein, hilflos oder unfähig fühle. Oder: Niemand darf mir die Entscheidungshoheit über meine Ernährung, meine Interessen und meine Bedürfnisse absprechen. Niemand darf mich für dumm erklären und niemand darf mich fortlaufend belügen. Nur so typische Beispiele aus dem Alltag (zum Glück nicht mehr meinem).
Ich liebe Deine Posts, Bücher und Blogbeiträge, sie bieten ganz viel Futter zum Nachdenken und freu mich schon, auf Dein nächstes Buch.
Claire, was du schreibst (alles!) tut mir gut. Ich befreie mich Dank dir. Und fühle mich viel, viel besser. Konkret? Unglücklich, depressiv, ja so könnte man kurz meinen Zustand beschreiben. Hauptursache ist meine Beziehung, die ich freundlich als lieblos bezeichnen möchte. Was hat sich in der letzten Zeit verändert? Meine Einstellung. Das Erkennen, das ich das Recht habe, mein Leben so zu gestalten wie i c h es will. Nicht schauen, was ich darf/sollte sondern was ich will und brauche, um glücklich zu werden.
Das ist für mich angepasste, zustimmungsheischende Person ein Riesenfortschritt. Klar, dass Corona, alte Mütter etc mich erstmal sehr bremsen. Aber wenn die Bahn frei wird, geht’s los! Schon allein der Gedanke befreit mich. Die Laune hebt sich und ich übe ganz vorsichtig. Nein zu sagen, wenn ich etwas nicht will. Geld, das mir meine Mutter schenkte, auf ein eigenes Sparbuch einzahlen. Klar, von heute auf morgen verschwindet meine Angst nicht. Angst zu widersprechen, Angst vor einer selbstständigeren Zukunft. Aber mein Fridolin wird mich nicht mehr so bremsen. Ich lasse es nicht mehr zu. Danke, Claire.
Es IST ja auch schwierig, den Wunsch nach gefällig sein, gemocht werden loszulassen. Da kommt immer sofort die Angst hinterher: „das Rudel stößt mich aus, lässt mich auf einer Eisscholle sitzen und ich werde verhungern!“
Wenn man sich allerdings nicht zeigt, wenn man seine Ecken und Kanten versteckt – wie sollen einen dann die wunderbaren Menschen finden, zu denen man wirklich passt? 🙂