Na, Ihr Besten aller Liebsten?

Im letzten Post sprachen wir über das Fridolin-Phänomen. Ohne diese tierisch-komplexe Geschichte noch einmal beim Urschleim aufzurollen, hier ein paar Eckdaten: 

Du darfst Dich stolze Besitzerin eines Fridolin-Syndroms nennen:

  • wenn du Menschen, die Dir ein kleines Unrecht tun, behandelst, als würden sie Dir nach dem Leben trachten
  • wenn Du gleichzeitig dem Menschen, der Dir wirklich das Leben zur Hölle macht, nicht konfrontierst, sondern ihm/ihr bei jeder Gelegenheit den Hintern hinterher trägst
  • wenn die Angst eine solche Macht über Dich hat, dass Du den Überblick über richtig und falsch verlierst

Wenn wir allerdings nicht den Konflikt mit denen suchen, die uns Leid antun – oder angetan haben: wohin dann mit unserer Aggression? 

Die haben wir nicht? Weit gefehlt. Frustration schafft Aggression. Natürlich macht es uns aggressiv, wenn jemand unsere Grenzen verletzt, auch, wenn wir von unseren eigenen Gefühlen so weit weg sind, dass Aggression nur ein leises Lied im Hintergrund ist, das wir ausblenden wie einen Après Ski Schlager. Aggression ist auch dann noch da, wenn wir sie nicht mehr spüren, weil wir sie unterdrücken.

In der freien Wildbahn beobachte ich drei beliebte Varianten, die gern benutzt werden, um diese unangenehmen Gefühle zu managen: 

  1. frau lässt ihre Aggression an irgendeinen dahergelaufenem Deppen aus, der ihr gerade vor die Füße rennt und das Pech hat eine beliebige Kleinigkeit falsch zu machen
  2. frau schädigt sich selbst, weil sie nicht weiß, wohin sonst mit der Aggression
  3. frau beklagt sich leidend über ihre Situation bei Freunden und Verwandten, die dann an ihrer statt den Wutanfall bekommen oder im blödsten Fall sogar die Konfrontation mit dem Täter suchen

Und jetzt kommt das Schönste: man kann alles, aber auch wirklich alles oben Genannte miteinander kombinieren: 

Anstatt meine eigenen Dämonen zu bekämpfen, kann ich den Mann meiner Freundin konfrontieren oder mich stundenlang über ihn aufregen und die Kassiererin im Supermarkt anpflaumen, während ich eine nach der anderen rauche und mir das vierte Stück Sahnetorte in der Woche reindrehe oder mich selbst verhungern lasse. 

Tadaah! Wenn das nicht effektiv ist, dann weiß ich auch nicht.

Ich beobachte immer wieder, dass gerade Frauen (Sorry an all die Männer, die das auch einwandfrei beherrschen), ihre ausführliche Leidensgeschichte über den Partner/Elternteil/Geschwister, der sie schlecht behandelt, in epischer Breite erzählen. Doch wenn ihr Gegenüber beginnt sich aufzuregen, dann mildert sie die Aggression sofort ab mit den blumigsten Argumenten:

„Er ist so ein kreativer, toller Mensch!“

„Aber ich liebe ihn doch!“

auch schön:

„Blut ist dicker als Wasser!“

„Aber er sagt doch, dass er mich liebt!“

„Er kann nicht anders, er hatte eine schlechte Kindheit!“

„Es tut ihm hinterher immer sehr leid!“

„Sie ist doch meine Mutter.“

„Er hilft so toll im Haushalt.“

„Mein Vater ist schon so alt, wer weiß, wie lange er noch lebt.“

Mädels, ein Wort unter Freundinnen: Wenn eine Beziehung den DDR-Status erreicht hat, in dem wir uns selbst vorbeten Es ist nicht alles schlecht!“, dann läuft da was grandios schief. Wenn wir anfangen, zu rechtfertigen und zu erklären, warum wir eine Beziehung zu jemandem aufrecht erhalten, der uns stundenlangen Gesprächsstoff für eine Leidensgeschichte bietet, dann läuft da etwas nicht rund.

Jetzt wäre Zeit für das Argument: „Konflikte gibt es doch aber immer in Beziehungen.“

In einer einigermaßen funktionierenden Partnerschaft wird es natürlich auch immer Konflikte geben. Mit einem feinen, kleinen Unterschied: 

Wenn Julia sich über Romeos zusammengedrückte Zahnpastatube ärgert, dann spricht sie ihn direkt an und ruft nicht erst die gesamte Familie Capulet an, um sich über ihn zu beklagen. Und Romeo wird nicht antworten: „Aber Du! Du machst nie Deine Haare aus dem Abfluss!“ Worauf sie keinesfalls antwortet: „Ach, jetzt bin ich wieder an allem Schuld!“

Ach ja, und noch ein kleiner, besonders feiner Unterschied: 

  • die beiden demütigen und erniedrigen sich nicht
  • sie wenden keine Gewalt gegeneinander an
  • sie stehlen sich nicht aus der Verantwortung für ihr eigenes Leben, in dem sie sich mit Drogen oder Alkohol vollpumpen
  • sie beleidigen sich nicht 
  • sie sehen das Fehlverhalten des anderen nicht als Rechtfertigung, eine Revanche zu planen
  • sie nutzen den anderen nicht aus 
  • sie bestehlen und betrügen sich nicht
  • und missbrauchen den/die andere nicht als Kratzbaum für ihr seelisches Unwohlsein

Klingt komisch, ist aber so. Schließlich: wieso sollte man solche Dinge jemandem antun, den man angeblich liebt? 

Liebevoll „Danke“ zu sagen, wenn der andere einem ein Segelboot schenkt, das ist die leichtere Übung. Ob eine Beziehung wirklich voller Liebe ist, zeigt sich an den Aspekten, die schwierig sind.

Manchmal ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass es ein paar einfache Spielregeln für ein gesundes Miteinander gibt. Und es lohnt sich ab und zu zu überprüfen, ob beide diese Spielregeln einhalten. 

Achtung: Schlechtes Benehmen ist ansteckend. In vielen Beziehungen ist die Art des Umgangs miteinander so schräg, dass niemand mehr weiß: wer hat eigentlich mit den blöden Verhaltensweisen angefangen? 

Wer ein Fridolin-Syndrom hat, wird jedoch dazu neigen sein eigenes schlechtes Verhalten dramatischer zu bewerten als das völlig inakzeptable Verhalten des anderen. Als ob wir es vielleicht verdient hätten, dass der andere das Familienvermögen verspielt, weil wir ja auch mal unser Konto überzogen hatten.

Wer das Gefühl für gut und böse, für richtig und falsch verloren hat, wer kein Gefühl mehr dafür hat, welches Verhalten wirklich inakzeptabel ist, der hat auch ein schlechtes Gewissen, wenn er/sie seinem Stiefvater nicht zum Geburtstag gratuliert und keinen Kuchen vorbeibringt. Diesem Stiefvater, der einen jahrelang verprügelt und gedemütigt hat. 

Wo der doch so gerne Kirschkuchen isst. Und was sollen denn die Nachbarn denken?

Ja, ich weiß. Da fehlt noch ein bisschen was. 

Das folgt vermutlich  – Ihr ahnt es schon: in Teil drei.

Für heute Macht’s euch fein.

Letzte Änderung: 22. Januar 2021