Na, Ihr Besten aller Liebsten?

Ein letztes Mal in diesem Jahr sitze ich in meiner Küche, der Haferbrei mit Mandelmilch und Khaki ist aufgegessen (yep, bin noch dabei. Mal sehen, wie lange ich dieses Mal meine Haferbrei-Phase durchhalte. Aber derzeit ist es ok. Ich weine nicht mehr, wenn ich die EL Haferflocken in den Topf löffel).

Ist mir nach Jahresrückblick? Eigentlich nicht. Nachdem ich in den letzten Jahren beruflich und persönlich so viel aufgeräumt hatte und letztes Jahr Silvester dachte: „Mensch, also dieses Jahr 2020 MUSS ja endlich besser werden!“, brachte dieses Jahr eine globale Überraschung.

Unvergessen der Moment im Februar als ich mir einem Freund sprach, der viel internationale Medien liest und der ernst sagte: „Claire, das wird eine Pandemie, die werden die Grenzen dichtmachen und wahrscheinlich die Schulen schließen.“

Unnötig zu sagen, dass ich ihn herzlich ausgelacht habe und als schlimmen Verschwörungstheoretiker bezeichnet habe: „Pfff, das glaubst Du doch selbst nicht, die werden doch die Grenzen nicht dicht machen!“

Inzwischen bin ich vorsichtig geworden. Ich habe mir in diesem Jahr angewöhnt, Menschen nach ihren genauen Informationsquellen und Gründen für ihre Meinung zu fragen, auch und gerade, wenn sie mir nicht passt, sie für mich unbequem ist, und ich sie nicht glauben will.

Komplexe Phänomene haben nie nur eine Wahrheit oder nur einen Lösungsweg. Es ist schwierig, seinen inneren Fünfjährigen zum Schweigen zu bringen, der wie im Märchen ein klares „Gut“ oder „Böse“ haben möchte. Der einfache und schnelle Lösungen sucht. 

Falls wir je einen Beweis gebraucht haben, dass wir nicht in einem Märchen leben – dieses Jahr hat ihn gebracht. Warum wir aber immer noch nach einem klaren Schwarz/Weiß suchen und uns hartnäckig weigern zu sehen, dass es mindestens 50 Shades of Grey gibt, ist nur mit der alles überlagernden Angst zu erklären.

Große Angst liebt einfache Erklärungen.

Komplexe Phänomene brauchen mehr als 180 Zeichen und mehr als drei Minuten Gespräch, um sie zu verstehen und sich eine Meinung zu bilden. 

Komplexe Phänomene werden aber von unterschiedlichen Menschen auch unterschiedlich bewertet werden. 

Nachvollziehbar, dass Gastronomen einen Lockdown völlig anders bewerten als krebskranke Asthmatiker. Viele der Diskussionen in diesem Jahr kamen mir so vor, als ob zwei Menschen von unterschiedlichen Seiten auf denselben Würfel blicken und absolut überzeugt sind, dass nur ihre Wahrnehmung die einzig richtige ist. 

Irgendwo zwischen Hefe-Knappheit und Sauerteigbrot-Backen ist uns verloren gegangen, dass die Freiheit, behaupten zu dürfen: „Der Würfel zeigt die Vier!“ genau so wichtig ist, wie die Freiheit zu rufen: „Der Würfel zeigt die Drei!“ und dass es ein Wert an sich ist, unterschiedliche Meinungen haben und äußern zu dürfen – ohne dass das Internet auf einem landet, wie ein Sumoringer.

Ja, klar. Natürlich wäre es mir lieber gewesen, wenn ich mit meiner Arroganz im Februar Recht behalten hätte.

Neben all den anderen Ärgernissen und Sorgen war die Ernüchterung, wie grandios man bisweilen in seinen Einschätzungen daneben liegen kann, eins der unangenehmsten Gefühle. Wie sehr einem die Sicherheit, in der man sich jahrelang wähnte, fehlt, wenn sie plötzlich weg ist. 

Dann ist es doch nur logisch, dass wir uns versuchen, die Sicherheit zurückzuholen, in dem wir stoisch an unserer Sicht der Dinge festhalten und nur noch Informationsquellen anhören, die unsere Meinung bestätigen. 

Mein Vorsatz fürs nächste Jahr? Zuhören. Gerade, wenn ich etwas lieber nicht glauben und nicht hören will. Und meine eigene Meinung nicht sofort in Blei gießen, wenn ich nur zwei Informationen zu einem Thema habe.

Macht’s Euch fein.

Für alle jene mit dem nachvollziehbaren Rettungswunsch das Lied zum Mitsingen:

Letzte Änderung: 31. Dezember 2020