Na, Ihr Besten? Also, wo war ich? Ach ja: wir hatten festgestellt, dass einige von uns bisweilen eine Art emotionales Rabattmarkenheft führen. In uns stauen sich negative Gefühle an, weil wir uns nicht rechtzeitig abgrenzen, weil wir nicht sagen, was uns kränkt, weil wir unsere Bedürfnisse nicht äußern und uns stattdessen für andere aufopfern. *seufz*

Das geht manchmal bis zu dem Punkt, an dem wir uns die Berechtigung unserer Gefühle absprechen: Darf ich eigentlich gekränkt sein? Ist das ok, dass ich wütend bin? Sollte ich nicht zenbuddhistisch, gleichmütig jede Schmach ertrage, die andere Wange hinhalten und über den Dingen stehe? Stimmt vielleicht mit mir etwas nicht, weil ich jetzt gekränkt bin?

Also grundsätzlich ist ein bisschen Selbstkritik ja nicht verkehrt. Wir könnten theoretisch alle immer irgendwie noch besser sein, oder? Wie finde ich nun also heraus, ob meine Gefühle berechtigt sind, oder ob sie gesetzlich verboten gehören? Der erste Hinweis könnte mal sein, die Gesetzgebung zu checken: Wenn da steht, das Gefühl ist verboten, dann ist es verboten. Ganz einfach.

Interessanterweise ist es aber selbst vor dem Gesetz so, dass wir alles Mögliche fühlen dürfen, entscheidend ist, wie wir dann handeln. So lange unsere Handlungen gesetzeskonform sind, kein Problem. Interessant, oder? Woher kommt dann die Idee: Ich darf nicht so fühlen, wie ich gerade fühle?

Zur Erinnerung: wir reden über Gefühle von Wut, von Enttäuschung, von Trauer, von Kränkung als Reaktion darauf, dass jemand unsere Grenzen überschritten hat. Wir reden nicht drüber, eine Kettensäge zu nehmen, um sein/ihr Wohnzimmer umzudekorieren. Selbst, wenn das eine ästhetische Verbesserung wäre.

Wir reden über Gefühle. Schon wieder? Ej, Claire, dein Ernst? Hier? Jetzt? Wieso’n ditte schon wieder?! Weil das Verdrängen von Gefühlen zumindest bei uns oft dazu führt, dass wir in die Sahnetorte stolpern. Viele Gefühle verdrängen oder Betäuben = viele Kilos auf der Waage = Welcome to our World.

Deswegen – falls Ihr auf ein Zeichen aus dem Universum gewartet habt, hier ist es:

Meine Gefühle sind wichtig. Ich darf meine Gefühle ernst nehmen.

Erstmal sind sie da und fordern Aufmerksamkeit. Das ist nicht so leicht wie es klingt, weil vielen von uns von klein auf abtrainiert wurde, die eigenen Gefühle überhaupt zu spüren und zu äußern:

Wenn die Oma uns vorrechnet, was an unserem Äußeren /unseren Noten/unserem Wesen nicht familienkonform ist?

„Das war voll gemein von Oma!“ – „Sach mal, gleich setzt es was! Wirst Du wohl nicht so respektlos über Oma sprechen?“

Wenn wir nicht auf die Klassenfahrt wollen, weil wir dauernd gemobbt werden:

„Ich will da nicht mitfahren, ich hab Angst.“ – „Hörma! Sei nicht immer so’n Angsthase. Um Freunde muss man sich auch bemühen. Das liegt immer an beiden. Sei doch einfach mal normal, dann findest Du auch Freunde!“

Wenn der Vater nach Hause kommt und besoffen rumprollt?

„Ich hab Angst, wieso ist Papi so komisch?“ – „Pscht, die Nachbarn können Dich hören. Mach schnell die Tür zum Flur zu.“

Die Liste geht endlos weiter. Mit so einem Feedback ist es ausgesprochen schwierig, zu lernen, das unsere Gefühle wichtig sind und dass es guttut, sie zu äußern.

Es gibt noch ein zweites Szenario, das es uns schwer macht, unsere Gefühle zu spüren: Wenn wir in einem derart bedenklichen Umfeld aufgewachsen sind, dass wir zu oft einer Flut von negativen Gefühlen ausgesetzt waren, dann schaltet die Wahrnehmung irgendwann ab.

Wenn Ihr harte Kontaktlinsen tragt, dann kennt ihr das: die ersten Male sind das unerträgliche Schmerzen, aber irgendwann schaltet das Gehirn die Info „Schmerz“ aus. Weil wir ja ohnehin nicht darauf reagieren. Wozu dann spüren? So ähnlich funktioniert das in einer Kindheit, die voller Kummer und Angst war: irgendwann schalten wir unsere Gefühle aus. Das ist ein Überlebensmechanismus, und der ist unverzichtbar wichtig.

Blöd nur, wenn wir dann erwachsen sind und nie gelernt haben, wie wir mit Gefühlen umgehen, wie wir sie äußern, wie wir sie aushalten, und bei welchen Gefühlen akuter Handlungsbedarf besteht. Blöd, aber nicht unmöglich. Blöd, aber machbar.

Wer so aufgewachsen ist, kennt vielleicht eher Folgendes: in einer unangenehmen Situation, wenn unser Gegenüber sich gerade dämlich verhalten hat, reagieren wir entweder mit einem Gefühl von Betäubung. Wir spüren gar nichts mehr. Oder wir werden plötzlich ganz anschmiegsam und unterwürfig. Der andere ist „böse“ mit uns, dann schnell umswitchen auf „liebes Kind“. Wir bemühen uns also noch mehr um den anderen und versuchen, ihm zu gefallen.

Das ist so traurig, dass ich hier mal ein Päuschen machen muss. Aber keine Sorge, die Fortsetzung folgt.

Für heute macht’s Euch fein.

Kategorisiert als:

Inneres Kind, personal growth,

Letzte Änderung: 30. Juli 2020