Na, Ihr Besten aller Liebsten?

An diesem Samstagmorgen lest Ihr mich immer noch ein wenig verstört. Neulich hab ich noch mal die kurze, wunderschöne Szene aus „Lost in Space“ gesehen, in der der Vater seiner Ältesten Lebensweisheiten mit gibt: „Was ist die dritte Regel?“ -„Akzeptiere das Unerwartete. Jammer nicht, fluch nicht, verlier keine Zeit für Selbstmitleid. Wäge Deine Optionen ab und dann handle.“

Boh, klingt das logisch. Und sinnvoll.

Als die Tochter auf einem fremden Planeten von Dinosauriern angegriffen wird, erinnert sie sich daran, jammert nicht, wägt ihre Optionen ab, handelt entschlossen und rettet sich und ihren Vater.

BaBÄMM.

Guten Morgen in der Welt von Claire, die schon an einem deutlich kleineren Tier in ihrer eigenen Küche scheitert und lieber jammert und flucht.

Gestern hatte ich mich zu eine Mittagsschläfchen hingelegt. Da reißt das Kind die Tür auf und fordert im Kommandoton: „Komm in die Küche. Jetzt.“

Kein leises „Mamili, schläfst Du noch? Willst Du nicht mal aufstehen?“

Kein peinlich berührtes: „Sorry, dass ich störe, aber es ist was Doofes passiert…“

Ein Ton, der einen sofort aufwachen und wach sein lässt.

„Da ist ein Tier im Küchenschrank.“

Brechreiz.

Und tatsächlich: im Schrank über dem Herd hört man Pfotentrappeln. Mein Gewürzschrank. Mit meiner Gewürzsammlung über dem Herd, wo ich unsere Essen koche. Die Gewürzsammlung, in der das Familienvermögen steckt, weil Claire lange Gewürz-kaufsüchtig war. 

Als ich mutig den Schrank öffne, höre ich das Trappeln weiter, aber zu sehen ist nichts. Den Schrank flugs ausgeräumt, es trappelt weiter – in der Dunstabzugshaube.

In diesem Moment habe ich nicht das Unerwartete akzeptiert. Meine Überlegungen waren in blitzschneller Folge: 

Das ist bestimmt eine Ratte, die ist zwischen meinen Gewürzen, ich kann hier nie wieder was essen, ich muss alle meine Gewürze inklusive Behälter verbrennen und wegwerfen. Ich muss mich jetzt auf den Boden werfen, weinen, mich im Bad einschließen und am besten meine Siebensachen packen und umziehen. 

Sofort. Jetzt. Neue Wohnung, neue Küche. Nicht mehr zurückblicken, wenn ich das brennende Haus verlasse.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, bis ich mir Gummihandschuhe angezogen habe und angefangen habe, die Plastikteile der Dunstabzugshaube auseinander zu bauen. Vermutlich waren es keine zwei Minuten. Gefühlt war es eine Ewigkeit.

Leider kam das Tier nicht raus. Während ich noch überlegte, mit dem Cutter den oberen Teil aufzuschneiden, bestand das Kind darauf, jemanden anzurufen, der das Tier holt. Aber – wen ruft man an, wenn man gar nicht weiß, was das für ein Tier ist?

Also einigten wir uns darauf, ihren Vater anzurufen, der ja schließlich die Abzugshaube mal eingebaut hatte und dessen grandiose Idee es war, die Abzugshaube an den Schornstein anzuschließen, durch den das Tier wohl den Weg in meine Küche gefunden hatte.

Kurzentschlossen kam mein Exmann also vorbei, ließ sich Handwerkszeug geben und schraubte das ganze Teil auseinander.

Das erschreckte das Tier so, dass es oben aus der Öffnung heraussprang, über den Exmann hopste und panisch durch die Küche sprang.

Ein Eichhörnchen.

Als es direkt auf mich zu rannte, habe ich beherzt zugegriffen und es nach draußen befördert. Die Tatsache, dass es keine Ratte war, hatte meine Panik gemildert.

Draußen im Hof wartete offensichtlich ein anderer Eichhörnchen-Freund schon sehnsüchtig, die beiden wuselten aufgeregt umeinander herum und feierten ihr Wiedersehen euphorisch. Dann jagten sie zusammen zu dem Baum neben meinem Haus, dessen Äste direkt aufs Dach führen – und kletterten blitzschnell wieder hoch.

Während ich noch entgeistert dachte: „Das ist jetzt nicht Euer Ernst!“ hörte ich neben mir das Kind, das mit der Eichhörnchenstimme sagt: 

„Boh, Ulrich, das war ja vielleicht krass! Los, das machen wir gleich noch mal!“

Den Rest des Nachmittags verbrachte ich damit, die Teile der Dunstabzugshaube, die nicht in in den Geschirrspüler können, mit Fettlöser, einer alten Zahnbürste und Wattestäbchen zu reinigen und über meine Lebensentscheidungen nachzudenken.

Jetzt habe ich eine komplett in Einzelteile zerlegte und frisch gereinigte Dunstabzugshaube auf dem Wohnzimmertisch, die darauf wartet, wieder zusammengesetzt zu werden.

Hinterher, wenn die Situation gelöst ist und wenn man schon weiß, wie sie gelöst wurde, sieht immer alles leicht aus. Wenn man weiß, dass es nur ein Eichhörnchen ist, das sich selbst und einem gerade den Tag versaut, dann ist alles putzig.

Als ich noch dachte, ich hätte eine Ratte in der Küche, war mein Hauptgefühl Angst, Ekel und Übelkeit.

So sonderbar es klingt, als mir in den Rocky Mountains mal beim Abendspaziergang durch die Hotelanlage ein Bär gegenüberstand, hatte ich weniger Angst. Vermutlich, weil mir sofort klar war: was immer hier auch passiert, der Bär landet nie in meiner Dunstabzugshaube und kontaminiert meine Gewürze. 

Später sprach ich mit May B. Flowers, die mich wissen ließ, sie habe schon am Donnerstag ein süßes Eichhörnchen gemalt.

Bitte, WAS hast Du?!

„May, wenn du das nächste Mal irgendwas malst, was sich als Prophezeiung für mein Leben herausstellt, dann male doch bitte einen Lottogewinn oder Goldbarren. Oder Giraffen. Aber bitte, bitte male niemals Ratten.“

Ich glaube, wir haben einen Deal.

Macht’s Euch fein!

P.S. May’s Roman „Sternschnuppen über London“ ist ganz frisch draußen. Wenn Ihr Spaß an romantischer Zerstreuung habt, dann könnte der was für Euch sein!

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Letzte Änderung: 1. Mai 2021