Na, Ihr Besten?

Dieser Lockdown bringt am #Coronalender Tag 9 sonderbare Blüten bevor: Bei uns wird der Corona Cup 2020 im Wohnzimmer-Tischtennis hart umkämpft. Gestern kam in einer Community die Frage auf: „Alles schön und gut, Claire, aber mal im Ernst: Bin ich denn noch authentisch, wenn ich meine Persönlichkeitsanteile filtere?“

Leute, Ihr macht das jeden Tag. Nur passiert das in den meisten Fällen nicht bewusst. Üblicherweise sind das Automatismen, die uns dazu bringen, in der jeweiligen Situation bestimmte Persönlichkeitsanteile kurzzeitig in ein mentales Wellness-Hotel zu bringen. Wenn Ihr zum Fleischer geht um Hackfleisch zu kaufen, dann nehmt Ihr dahin garantiert nicht eure innere Marilyn Monroe mit, die ihren wogenden Busen lasziv über die Theke schubst und mit halb geschlossenen Augen den Verkäufer anhaucht: „Heute nur 150g Tartar für meine Big.Mac.Rolle… Ich bin ganz allein zuhause. Mit dem Tartar! Nur ich und… 150g Tartar.“

Ihr werdet auch Euren inneren Komiker kaum in der Polizeikontrolle rausholen, euch eine Clownnase aufsetzen und kreischen „Ein Prosit der Gemütlichkeit, Ihr lustigen kleinen Schnitzel-Mäuschen!“, wenn die Beamten nach Euren Papieren fragen.

Das fällt niemanden von uns schwer, schließlich „tut man das nicht“! – wie wir alle mal gelernt haben. Und niemand von Euch fühlt sich benachteiligt oder eingeschränkt, wenn er bei Ikea am Imbissstand nicht die Pinzette rausholt und wissenschaftliche Experimente mit dem Hotdog machen kann.

In einer romantisch-erotischen Situation werdet Ihr nicht den inneren Biologie-Lehrer aktivieren und alle Körperteile mit Klebchen, auf denen die lateinischen Bezeichnungen stehen, etikettieren, selbst wenn Ihr das grundsätzlich könntet.

Dieses „authentisch“ wird meiner Erfahrung nach gern als Rechtfertigung benutzt, wenn jemand im falschen Kontext seinen unangemessenen Gefühlen freien Lauf lässt. In meinem Bekanntenkreis gibt es eine Ärztin, die auf Station ein Sparschwein hat, in das sie jedes Mal fünf Euro tun muss, wenn sie den Schwestern gegenüber wieder mal zu „authentisch“ war. Sorry, aber in vielen Kontexten ist dieses authentisch leider dicht dran am „unprofessionell“.

Stellt euch mal vor, Ihr geht zum Seelsorger oder zu Therapeuten, erzählt Eure Leidensgeschichte und der wirft sich weinend auf den Boden und jammert: „Das ist ja furchtbar! Wie kann Ihr Mann Ihnen so was nur antun. GOTT, wie kannst du das nur zulassen!!!“

Authentisch? Hm, eher unprofessionell und neurotisch. Also: 1000 Mal am Tag filtern wir alle ganz automatisch und unbewusst, welche Anteile gerade „mitspielen dürfen“. Das bedeutet: wir können das alle, und wir sind dabei authentisch.

Jetzt heißt es nur noch, diesen Schritt bewusst zu gehen. Das erfordert ein bisschen Übung, klar. Ok,  das erfordert schon viel Übung. Dabei hilft es, sich daran zu erinnern, dass diese verschiedenen Persönlichkeitsanteile keine wissenschaftliche Tatsache, sondern ein Modell, eine Vorstellung davon sind, wie es möglicherweise funktioniert.

Hier die gute Nachricht: Unser Gehirn kann unglaublich gut mit Visualisierungen und Vorstellungen arbeiten – je bildhafter, je konkreter, desto besser. Nehmt Euch doch mal die zehn Sekunden und stellt Euch vor, wie Ihr dieses innere Kind (dem ihr auch einen hübschen Kosenamen verpassen dürft), auf die Stirn küsst und in eine gute Betreuung gebt, die Euch als Kind richtig gut gefallen hätte.

Wenn Euch das mit dem Kind zu fremd ist: eine Kollegin von mir stellt sich auf dem Weg zur Arbeit immer vor, wie sie ihre privaten Themen in hübschen Körbchen an den Kirschbaum in ihrem Garten hängt. Vor ihrer Arbeitsstelle ist eine Birke. Wenn sie dort ankommt, stellt sie sich vor, wie sie die beruflichen Themen sozusagen vom Baum pflückt und ins Büro mitnimmt. So kann frau das auch mit ihren ängstlichen Anteilen machen, bevor sie zum Handy greift – um vielleicht über die nächsten Corona-News zu stolpern.

Wenn Ihr mich fragt: diese Form von Mentaltraining ist elementar wichtig. Die meisten Menschen, die ich kenne, werden von ihrem Kopf gedacht, dh: Das Gehirn entscheidet autonom, was er gerade wie denken will – und der Mensch erduldet das passiv. Das funktioniert oft gut, aber manchmal richtig schlecht. Wer schon mal kreisende Gedanken, depressive Verstimmungen, Minderwertigkeitsgefühle oder Angstzuständen hatte, weiß genau, was ich meine. Für mich war einer der wichtigsten Prozesse, zu lernen, dass ich entscheide, was mein Gehirn denken darf – und wo ich Stop sage. Zu lernen, dass ich nicht unhinterfragt alles glaube, was mein Gehirn mir erzählt. Möglicherweise bin ich nämlich vielleicht doch kein Einhorn.

Irgendwas sagt mir, dass ich später an dieser Stelle weiterdenken werde.

Macht’s Euch fein – und bleibt gesund!

#gehtsauchleichter

#dasbildpasstniezumtext

 

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Coronalender, Persönlichkeitsanteile,

Letzte Änderung: 14. April 2020

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